Führung 4.0
Einige Gedanken vorab zur Veranstaltung
Führung von multiprofessionellen Teams im Gesundheitswesen —
Bestimmt die Organisationsstruktur den Führungsstil?
Das Gesundheitswesen und die Strukturen der Organisationen sind von permanenten Veränderungen geprägt, die immer mit unterschiedlichsten Herausforderungen einhergehen.
Ein besonderes Thema stellt dabei die Interdisziplinarität der Teams im Gesundheitswesen dar. Leitungsteams und Behandlungsteams, die aus Personen aus mehreren Berufsgruppen bestehen, werden von lange gewachsenen Hierarchie- und Standesstrukturen, hoher Komplexität in Behandlungs- aber auch Entscheidungsprozessen, von Zeitdruck und Ressourcendruck beeinflusst. Frei nach einer Formulierung von J. Häusler ist die Art und Weise, in der Führungs- und Leitungsaufgaben von den Führungskräften im Rahmen einer Organisation ausgeübt werden, die konkrete Verhaltensweise der Führungskräfte innerhalb des Spielraums der Leistungsstruktur des Unternehmens.” (s.d.a. http://www.wirtschaftslexikon24.com/d/fuehrungsstil/fuehrungsstil.htm).
“Clinical Governance” (patientenorientierte Führung): Evidenz- und Leitlinienorientierung, konsequente kontinuierliche Verbesserung, Betonung der Sicherheitskultur, ökonomische Verantwortung und Organisationslernen.
Clinical Corporate Governance” (unternehmensorientierte Führung) bezieht Geschäftsführung und Aufsichtsgremien mit ein. Hierzu gehören die Integration und der Konsens aller in Entscheidungsprozessen und die Bindung an eine fachübergreifende Steuerung, die nicht nur die abteilungsspezifische Leistungsbilanz, sondern die Evidenz- und Qualitätsorientierung sowie Wirtschaftlichkeit der Gesamtorganisation in den Vordergrund stellt (s.d.a. M. Schrappe, Führung im Krankenhaus, 2009).
Die gängigen Führungskonzepte im Krankenhaus auf der Ebene der Trägerstrukturen, der Geschäftsführung und der Abteilungsleitungen erweisen sich bei so manchen Veränderungen als unzureichend und erschwerend. Eine Organisationsstruktur mit Betonung der Sparten- bzw. Abteilungsinteressen verstärkt die vertikale und horizontale Dissoziation der Expertenorganisation im Krankenhaus: die leitenden Ärzte und Pflegepersonen orientieren sich mehr an ihren fachlichen und Patienten-Kontakten, während Geschäftsführungen den Fokus stark auf andere, strategische Optionen richten.
Das Modell des Topmanagements bestimmt jedoch die Kultur. Es gibt hier viele bestimmende Elemente in dieser besonderen Struktur und es liegt viel Verantwortung bei den Führungskräften. Ein wesentlicher Faktor ist dabei ist „Trust“. Wie ist das Vertrauen zwischen den Gruppen und wie kann es gefördert werden? Vertrauen ist in allen Hierarchieebenen bestimmend und bestimmt auch letztendlich das jeweilige Verhalten des Einzelnen und der Gruppen.
In Gesundheitsberufen Tätige sind an Veränderungen gewöhnt, Krisen- und Notfall-erprobt. Es stellt sich derzeit auch die Frage, welchen Einfluss hat die „Covidsituation“ zusätzlich? Entsteht mehr Identifikation…“die Helden…“ oder das Gegenteil? Schweißt diese Krise mehr zusammen oder erschwert sie die Zusammenarbeit noch mehr?
Nicht funktionierende Kommunikation und Informationsflüsse oder Führungsfehler führen zu Missverständnissen. Konflikte über die Verteilung der Verantwortungen und Aufgabenbereiche wirken sich für alle und letztendlich für die Behandlungs- und Betreuungsqualität der Patientinnen und Patienten negativ aus. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass der Großteil medizinischer Fehler die Folge fehlender Kommunikation zwischen Teammitgliedern darstellt [s.d.a. Fehlerkultur in der Medizin, F. Kummer, 2011). Dass die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Professionen im Gesundheitswesen weiter verbessert werden muss, zeigen zahlreiche Studien, die belegen: Sowohl ein beträchtlicher Anteil von Todesfällen im Krankenhaus als auch rund 20% der berichteten kritischen Fehler (CIRS) sind auf Kommunikationsprobleme zurückzuführen (s.d. Ludwig, O. Herausforderungen und Chancen des interprofessionellen Dialogs. Heilberufe 70, 24 (2018). https://doi.org/10.1007/s00058-018‑3265‑5).
Einen weiteren, wesentlichen Einflussfaktor für die Führung und das Funktionieren der Zusammenarbeit stellt die wahrgenommene Sicherheit im Team dar. Individuelles Engagement und Eigeninitiative können nur auf dieser Basis gefördert werden. Durch Ängste, Missbilligung, Unsicherheit oder Unklarheit über Kompetenzverteilungen wird eine gute Zusammenarbeit im interdisziplinären Team verhindert.
Die Bereitschaft, Veränderungen mitzutragen, sich weiterzuentwickeln, sich neues Wissen anzueignen, sind von der Sicherheit im Team beeinflusst. Im komplexen Kontext des Gesundheitswesens können Fehler und Unzulänglichkeiten nie vollkommen vermieden werden, weshalb ein korrekter und offener Umgang mit diesen unerlässlich ist. Das Lernen aus vergangenen Fehlern ist hinsichtlich eines kontinuierlichen Verbesserungsmanagements von großer Bedeutung. Damit identifizierte Fehler überhaupt angesprochen und offen diskutiert werden, ist neben der Kultur eines kritischen Dialoges auch die Etablierung einer offenen Fehler- und Gesprächskultur erforderlich. Ein effektives Fehlermanagement an Stelle einer Fehlervermeidungskultur ermöglicht es, aus Fehlern für die Zukunft zu lernen und Arbeitsprozesse ständig zu optimieren (s.d.a. Kunz, F. (2016), Optimale Führung interdisziplinärer Teams im Gesundheitswesen, F. C. Brodbeck (Hrsg.) Evidenzbasierte Wirtschaftspsychologie, Ludwig-Maximilians-Universität München. http://www.evidenzbasiertesmanagement.de).
Eine Kultur der Offenheit und Sicherheit erfordert funktionierende Informationsflüsse und eine reibungslose Kommunikation. Denn erst wenn alle beteiligten Personen ihre Informationen austauschen, können die aus den unterschiedlichen Perspektiven entstehenden Potenziale genutzt werden. Lernprozesse können dann auch durch schwierige Zeiten beschleunigt werden, wie etwa derzeit die Integration und verstärkte Nutzung von digitalen Möglichkeiten. Lernen aus dem was gut funktioniert oder von Bereichen wo es gut funktioniert, gemeinsame Trainings und Bewusstsein über die Bedeutung aller in diesem komplexen System sind erforderliche Schritte.
Beispielsweise könnten in der Praxis so manche Besprechungen auf Entscheidungen und Brainstorming fokussiert werden und andere Themen und Informationen über funktionierende Informationssysteme und sinnvolle Dokumentation ausgetauscht werden. Voraussetzung dafür ist jedoch eine gewollte, funktionierende multidisziplinäre Zusammenarbeit.
Ganz generell gibt es von allen Gruppen dieselbe Motivation – eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten — und jede und jeder hat die Verantwortung dafür. Vieles ist formuliert und in Richtlinien festgeschrieben, aber um sichtbare und spürbare gute Zusammenarbeit in der Praxis steht doch immer wieder vor Herausforderungen. Hier sind die Organisation und Führungskräfte gefragt, diese Brücken zu bauen oder zu verfestigen und das gegenseitige Verstehen und Vertrauen zu fördern. Die Implementierung, das wirklich gute Funktionieren der multidisziplinären Zusammenarbeit — das ist die eigentliche strategische Aufgabe und in der Verantwortung aller.
Ich freu mich über Ihre Rückmeldungen und Meinungen, wie Sie diese Thematik wahrnehmen, welche Ideen Sie haben oder wie es bei Ihnen in der Praxis funktioniert.
Annelies Fitzgerald